Es war die Zeit nach meinem 4. Geburtstag. Ich hatte einen rot-weiß gestreifen Pappkoffer bekommen und habe ihn geliebt – da war noch alles in Ordnung.

 

Wir hatten zwei polnische Bauarbeiter bei uns wohnen, die das Haus saniert haben – der dicke und der dünne Tadek. Ich kann mich erinnern, dass dieTadeks mich vom Kindergarten abgeholt haben, weil Papa keine Zeit hatte. Und dass die Kindergärtner oder später meine Mutter das gar nicht gut fanden. Ich kann mich daran erinnern, dass ich später den dicken Tadek furchtbar eklig fand und Panik hatte, dass er wieder kommt. Ich kann mich ganz genau an das Foto erinnern, dass mir meine Eltern gezeigt haben um zu erklären, wer wer ist. Und ich war so froh, dass nicht der dicke Tadek wiederkommt. Ich kann mich an der Geruch von Schweiß und Bier erinnern. An die dunkelblonden lockigen Haare, die gelben, riesigen Zähne.

 

Ich bin nach dem Kindergarten alleine auf den Dachboden gegangen. Ich hatte den braunen Cordrock an. Ich weiß noch, dass mir mein Onkel Karl und seine Freundin am Tag vorher die Haare geschnitten haben auf der Terrasse und da die Welt noch in Ordnung war. Der dicke Tadek kam von hinten und hat mich mit den Händen gewürgt. Ich lag auf dem Boden und er hat mich gewürgt. Ich habe keine Luft mehr bekommen, hab gestrampelt, wollte schreien. Und irgendwann dachte ich, wenn ich einfach aufhöre zu atmen ist alles vorbei. Aber mein Körper wollte weiterleben. Ich kann mich an seinen Penis erinnern, der mir in den Mund und die Kehle gepresst wurde. Den Geschmack, die Konsistenz, das Würgen, den Geruch von Sperma in meinem Mund und auf meinem Körper erinnern. Und an alles dazwischen will ich mich nicht erinnern. Aber ich habe immer wieder Erinnerungsfetzen, dass er auch zwischen meinen Beinen war und in mich eingedrungen ist.

 

Danach bin ich in die Küche, mein Vater hat gerade gekocht. Meine Mutter und meine Geschwister waren in der Schule. Ich hab ihm gesagt, dass was Schlimmes passiert ist. Wie ich es beschrieben habe weiß ich nicht mehr. Aber er hat es nicht geglaubt. Er hat es einfach nicht geglaubt. Mir kommen Sätze wie „Das kann nicht sein. Übertreib nicht. Bild dir nichts ein.“ in den Kopf.

 

Ich erinnere mich, dass ich mir danach mein Bett immer so klein wie möglich gemacht habe. Dass Papa mich nicht mehr anfassen durfte, wir nicht mehr gekuschelt haben. Dass ich mich ständig allein gefühlt habe. Und an die Panik, dass der Täter vielleicht wiederkommt.

 

Ich war einfach so allein und konnte mit niemandem sprechen. Und keiner hat es gesehen. Und die Erinnerung war so schlimm, dass ich sie ganz weit weg gesperrt habe. Und mit dem Kiffen, dem Schneiden, dem Essen hatte ich zumindest etwas, dass mich betäubt hat. Diese Einsamkeit nicht mehr spüren zu müssen. Dieses zuviel an Gefühlen, zuviel an Schmerzen.